Wie ab Seite 84 in meinem Buch über Neurodegeneration beschrieben, spielt die sog. Amyloid-Pathologie beim Alzheimer eine wichtige Rolle. Diese Krankheit betrifft weltweit schon rund 50 Millionen Menschen und ist bisher nicht behandelbar. In den Amyloid-Plaques werden verschiedene Eiweiße abgelagert. In ihrer Umgebung degenerieren neuronale Fortsätze und entzündliche Prozesse treten auf. Letztere werden durch die zahlreichen Entzündungs-Zellen des Gehirns, die Mikroglia, ausgelöst. Seit den 1990er Jahren wird unter dem Stichwort "Amyloid-Hypothese" bzw. "β-Amyloid-Kaskade" angenommen, dass die Plaques die wesentliche Ursache des Morbus Alzheimer darstellen.
Heute gehen wir allerdings davon aus, dass die Plaques eher kompensatorisch entstehen. Es ist wahrscheinlich, dass gerade durch die Bildung von Ablagerungen pathologisch hohe Konzentrationen von löslichen Vorstufen der Plaques unschädlich gemacht werden können. Diese Annahme wird durch die Beobachtung unterstützt, dass die Amyloid-Plaques nicht für den Morbus Alzheimer spezifisch sind und gelegentlich auch bei kognitiv völlig intakten älteren Menschen in großer Menge auftreten.
Eine immunhistochemische Färbung gegen Amyloid in einem histologischen Schnitt aus dem Gehirn eines Alzheimer-Patienten. Sie zeigt die extrazellulär lokalisierten, bräunlichen Amyloid-Plaques (A.M. Birkl-Töglhofer, Med. Uni. Graz).
Plaques werden insbesondere durch sog. Aβ-Peptide gebildet. Es handelt sich um 39-43 Aminosäuren lange Peptide, die durch fehlerhafte Umwandlung aus einem Vorläuferprotein entstehen, dem APP (amyloid precursor protein). Mutationen im APP-Gen machen nur wenige Prozent der Alzheimer-Fälle aus. Die Aβ-Pathologie ist aber häufig und tritt auch bei den sporadischen Formen mit unbekannter Ursache auf. Aβ-Peptide sind intrazellulär bevorzugt in kleinen Transportvesikeln, den Endosomen, nachweisbar und werden per Exozytose in den extrazellulären Raum hinein abgegeben. Normalerweise werden sie dann über das Nervenwasser entfernt bzw. von Enzymen abgebaut.
Das 42 Aminosäuren lange Aβ42-Peptid und das um zwei Aminosäuren kürzere Aβ40 spielen eine Schlüsselrolle beim Morbus Alzheimer. Längere Aβ-Peptide neigen eher dazu, sich paarig in Form eines Dimers oder auch mehrfach als Oligomer zusammenzulagern. Diese bilden dann dünne Fasern (Fibrillen) und tendieren zur Aggregation. Zusammengelagerte Aβ42-Peptide lagern sich Zellmembranen an und bilden Poren, die geladene Teilchen (Ionen) in die Zelle einströmen lassen und dadurch den neuronalen Stoffwechsel stören. Sie bewirken darüber hinaus eine Übererregbarkeit von Nervenzellen. Damit interferieren sie mit der für die Gedächtnisbildung so wichtigen Langzeitpotenzierung an Synapsen. Außerdem sind negative Effekte von Aβ-Amyloid auf die Blutversorgung beschrieben worden, da es Hirngefäße verengt und die Liquordrainage beeinträchtigt.
Schematische Darstellung der Aβ-Peptide (gelbliche Punkte) und den aus ihnen bestehenden Fibrillen und Plaques. Sie umgeben die Nervenzellen mit ihren Fortsätzen (iStock.com/selvanegra).
In den vergangenen Jahren wurde daher eine Vielzahl von Antikörpern (Immunglobuline) gegen Aβ-Peptide entwickelt. Manche dieser Antikörper wurden interessanterweise zuerst in gesunden Menschen entdeckt, die auch in hohem Alter noch keine Alzheimer-Demenz entwickelten. Sie waren also intrinsisch gegen die Plaque-Bildung immunisiert, ohne jemals geimpft worden zu sein. Diese Antikörper wurden genauer analysiert und für Therapieversuche am Menschen hergestellt. Daneben werden auch nicht-immunologisch wirksame Substanzen gegen Aβ-Monomere, Oligomere oder Amyloid-Aggregate in klinischen Studien getestet. Allesamt bisher leider ohne Erfolg.
Trotz dieser deprimierenden Ergebnisse wurde bei wiederholter Analyse der Daten allerdings festgestellt, dass nach Gabe bestimmter Antikörper, die speziell gegen Aβ-Oligomere und gegen kleinere Protein-Aggregate gerichtet waren, in relativ hoher Dosierung (10 mg/kg) Verbesserungen der Gedächtnisfunktion bei manchen Patienten mit einer milden Demenz auftraten. Vielleicht verlangsamen Antikörper wie "Aducanumab" also doch den kognitiven Abbau und vermindern die Menge an senilen Plaques.
Obwohl sich ein Experten-Gremium mehrheitlich dagegen aussprach, wurde Aducanumab, das unter dem Medikamenten-Namen "Aduhelm" von der Firma Biogen vertrieben wird, in den USA von der amerikanischen Zulassungs-Behörde (FDA) freigegeben. Diese Entscheidung hat bei kritischen Alzheimer-Forschern Stirnrunzeln, aber bei vielen Ärzten, Patienten und ihren Familien große Hoffnung erzeugt. Weitere Antikörper sollen nun folgen. So erwartet das Pharmaunternehmen Eli Lill, dass sein ähnlich wirkender Antikörper "Donanemab" ebenfalls zugelassen wird. Bei Patienten, die mit diesem Antikörper behandelt wurden, verzögerte sich der kognitive Abbau offenbar um bis zu 6 Monate.
Möglicherweise steht daher neben den symptomatischen Behandlungen mit Acetylcholin-Esterase-Hemmern und Glutamat-Rezeptor-Antagonisten endlich eine Krankheits-modifizierende Therapie zur Verfügung (hierzu mehr ab S. 132 in meinem Buch). Vorerst soll die Antikörper-Behandlung (monatliche Infusionen) aber auf Patienten mit einer milden Demenz und klar nachweisbaren Amyloid-Plaques beschränkt werden. Nebenwirkungen sind möglich, z.B. eine Hirnschwellung oder kleine Einblutungen. Das Hauptproblem der Zulassung von Aduhelm war aber, dass sie auf einem signifkanten Rückgang der Anzahl von Plaques beruhte und nicht auf einem klaren Nachweis klinischer Effekte. Die vorhandenen Daten zeigen aber keine eindeutige Korrelation von Amyloid-Plaques im Gehirn mit geistigen Verfall.
Erschwerend kommt hinzu, dass zu den pro Jahr rund 50.000 € teuren Behandlungen auch noch die Kosten für den Nachweis der Amyloid-Ablagerungen mittels Kernspin-Tomographie oder PET (Positronen-Emissions-Tomographie) dazukommen. Alternativ wird möglicherweise bald ein Bluttest zur Verfügung stehen. Die Firma C2N vermarktet einen "PreactivityAD"-Test, der das Verhältnis aus Aβ42- und Aβ40-Peptiden sowie den ApoE-Genotyp bestimmt (eine bestimmte ApoE-Unterform, das ApoE4, prädisponiert zum Alzheimer).
Trotz der offiziellen Zulassung durch die FDA bleibt eine mögliche Therapie mit Aduhelm nicht nur wegen des Preises umstritten. Die FDA hat ihre Zusage nämlich an eine "Bestätigungsstudie" geknüpft, die sicherstellen soll, dass die Antikörper den Patienten tatsächlich helfen. Für diese Studie hat Biogen neun Jahre Zeit, um die Ergebnisse zu sammeln. Das ist eine lange Zeitspanne, die auch dazu beigetragen hat, dass ein Gremium der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) sich vorerst gegen eine Zulassung des Mittels in Europa aussprach.
Referenz: Musiek ES, Bennett DA (2021) Aducanumab and the “post-amyloid” era of Alzheimer research? Neuron 109:3045-3047
Bildnachweis oben: iStock.com/Piotrekswat
Sehr interessant, vielen Dank. Jetzt verstehe ich erst die Entscheidung der EMA zu Aduhelm. Ich hoffe, Sie werden uns über die weitere Entwicklung auf dem Laufenden halten!
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