Altern ist der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung einer Demenz. Alois Alzheimer hat 1906 erstmals eine Krankheit beschrieben, die mit 70% der Fälle den größten Anteil an allen Demenz-Formen ausmacht. Fast die Hälfte der über 85jährigen hat eine Demenz, etwa zwei Drittel davon sind Frauen.
Bei Frauen verläuft die Krankheit rascher und betrifft mehr kognitive Funktionen als bei Männern. Wir vermuteten bisher, dass der Abfall des weiblichen Geschlechtshormons Östrogen nach der Menopause dafür verantwortlich ist, da Östrogene im Gehirn, insbesondere in dem für Lernen und Gedächtnis besonders relevanten Hippocampus, neurotrophisch wirksam werden. Sie stimulieren hier den Stoffwechsel und sichern die Netzwerk-Stabilität ab. Eine Östrogen-Ersatztherapie hat aber bisher keine eindeutigen Ergebnisse in Bezug auf die Gedächtnisfunktionen behandelter Frauen gezeigt. Neben Verbesserungen traten auch Verschlechterungen oder gar keine Effekte auf.
In einer kürzlich publizierten Arbeit in Nature konnte nun die Arbeitsgruppe um Dr. Keqiang Ye und Dr. Mone Zaidi von der Emory-Universität in Atlanta (USA) zeigen, dass weniger das Östrogen, sondern das Follikel-stimulierende Hormon (FSH) eine äußerst wichtige Rolle bei dem beobachteten Geschlechtsunterschied in der Entwicklung einer Demenz spielen könnte. Die FSH-Blutspiegel steigen bei Frauen um die Menopause herum nämlich stark an (ohne dass schon ein Östrogen-Mangel nachweisbar wäre). In dieser Zeit nehmen viele Frauen an Gewicht zu und die Knochensubstanz nimmt ab (es war bisher schon bekannt, dass eine Hemmung von FSH die Gewichtszunahme und Osteoporose verzögern kann).
In der jetzigen Arbeit wurden Mäuse, die genetisch eine Alzheimer-ähnliche Krankheit entwickeln (aufgrund von Mutationen im APP-, Präsenilin- und Tau-Gen), in eine künstliche Menopause versetzt (durch Entfernung des Eierstocks). Sie zeigten neben dem erwarteten FSH-Anstieg die Alzheimer-typischen Veränderungen wie Amyloid-Plaques, Tau-Fibrillen und einen Verlust des Ortsgedächtnisses. Interessanterweise konnten wiederholte Injektionen von Antikörpern, die FSH binden und dessen Funktion blockieren, diese Symptome deutlich abschwächen. Sogar männliche Mäuse, die geringere FSH-Spiegel aufweisen, profitierten von dieser Behandlung. Es war auch bei ihnen weniger β-Amyloid im Gehirn nachweisbar und mehr Neurone überlebten. Eine zusätzliche exogene Zugabe von FSH verstärkte hingegen die Alzheimer-Symptome in männlichen sowie in weiblichen Mäusen.
Die Experimente umfassten auch den Nachweis, dass FSH die Blut-Hirn-Schranke überwinden und an spezifische Rezeptoren auf Nervenzellen binden kann. Diese sind an einen bestimmten Signalweg gekoppelt, den C/EBPβ-AEP/δ-Sekretase-Weg, über den Amyloid und pathologisches Tau hergestellt wird. Nach Ausschaltung der FSH-Rezeptoren im Hippocampus menopausaler Mäuse waren die Alzheimer-typischen Veränderungen deutlich reduziert.
Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass therapeutische Antikörper gegen FSH eine neue Strategie zur Prävention und Behandlung der Alzheimer-Krankheit darstellen (nicht nur bei Frauen). Entsprechende Studien sind unterwegs.
Eine schematische Darstellung der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), die FSH aus dem Vorderlappen (gelbe Zellen links) ins Blut abgibt. Dieses erfolgt nach Stimulation durch Freisetzungshormone (GnRH), die in Zwischenhirn-Neuronen (violett) des Hypothalamus gebildet werden.
Referenzen:
Xiong J, Kang SS, Wang Z, ... , Zaidi M, Ye K (2022) FSH blockade improves cognition in mice with Alzheimer’s disease. Nature 603:470-476
iStock/Cecilie-Arcurs (Bild oben)
iStock/7activestudio (Bild unten)
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