Frauen sind 1,7 mal häufiger von der Alzheimer-Krankheit betroffen als Männer. Neben dem Alter und einem Gen, das für eine Form (ε4) eines Apolipoproteins (APOE) kodiert, stellt daher das weibliche Geschlecht einen Risikofaktor dar. Wie in meinem Blog-Beitrag vom 08.04.22 diskutiert, werden hierfür Unterschiede in den Sexualhormonen verantwortlich gemacht. Möglicherweise spielen aber auch Differenzen im Bildungsniveau und die Anzahl der Schwangerschaften eine Rolle.
Obwohl die weibliche Menopause mit einem erhöhten Risiko für neurologische Erkrankungen einhergeht, hat eine Hormon-Ersatztherapie unklare bzw. negative Effekte auf die Demenzprävention gezeigt. In einer aktuellen Studie von Yan und Kollegen wird nun ein ganz anderer molekularer Mechanismus aufgezeigt, der eine erhöhte Anfälligkeit des weiblichen Gehirns für Demenz-assoziierte Protein-Ablagerungen wahrscheinlich macht. Es handelt sich dabei um die Alzheimer-typischen Tau-Fibrillen.
Wie in meinem Buch über Neurodegeneration im Kapitel 2.3.4 beschrieben, korreliert die Menge von Tau-Fibrillen mit neu aufgetretenen Gedächtnisstörungen. Diese auch als tangles bezeichneten intrazellulären Knäuel von phosphoryliertem und aggregiertem Tau-Protein können anhand von Markierungsstoffen (tracern) in der Positronen-Emissions-Tomographie, aber auch im Nervenwasser, dem Liquor, nachgewiesen werden kann. Eine große Menge der an das Protein gebundenen Phosphate, die sog. Hyper-Phosphorylierung, verhindert dabei den normalen Abbau von Tau und stört seine Bindung an Mikrotubuli, den wesentlichen Bausteinen des neuronalen Zytoskeletts. Beides wirkt sich negativ auf den zellulären Metabolismus aus, denn Tau ist ein wichtiger Stabilisator der Mikrotubuli, die auch für den gerichteten Transport von Vesikeln notwendig sind.
In der vorliegenden Arbeit aus der Arbeitsgruppe von David Kang, der an der Case Western Reserve University in Cleveland (USA) forscht, wurde nachgewiesen, dass im weiblichen Gehirn eine größere Tau-Belastung aufgrund der physiologisch höheren Expression eines Enzyms besteht, das als Ubiquitin-spezifische Peptidase (USP11) bezeichnet wird. Stärkere Tau-Ablagerungen wurden schon in PET-Bildgebungsstudien und neuropathologisch im Gehirn verstorbener Frauen beobachtet. Außerdem finden sich höhere pTau-Spiegel im Liquor von Frauen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und bei Trägerinnen des oben genannten APOE ε4-Allels.
Die Aggregation und der Abbau von Tau werden durch post-translationale Modifikationen gesteuert, darunter die Phosphorylierung, Acetylierung und Ubiquitinierung. Letztere reguliert den Abbau von Tau über den Ubiquitin-Proteasom- bzw. Autophagie-Lysosom-Weg. Das menschliche Genom kodiert für etwa 100 deubiquitinierende Enzyme (DUBs), von denen rund die Hälfte Ubiquitin-spezifische Peptidasen (USPs) darstellen. Um ihre Rolle bei der Regulation von Tau zu untersuchen, führten Yan et al. ein Screening mit sog. kleinen, interferierenden RNAs (siRNA) gegen 22 DUBs durch, die alle im Zentralnervensystem exprimiert werden. Dadurch konnten sie zwei positive Regulatoren von Tau identifizierten: USP13 und USP11. Da USP11 auf Chromosom X lokalisiert ist und in der weiblichen Biologie eine wichtige Rolle spielt, stellten sie die Hypothese auf, dass dieses Enzym zur frauenspezifischen Anfälligkeit für Alzheimer beitragen könnte.
In ihrer Arbeit präsentieren sie eine Reihe von Daten aus Zellkulturen und menschlichen Geweben, die diese Annahme stützen: Zum einen führen erhöhte USP11-Spiegel bei Frauen im Vergleich zu Männern zu einer verstärkten Deubiquitinierung von Tau an der Aminosäure Lysin (K) 281. Diese Veränderung treibt eine pathologische Tau-Ablagerung voran, indem es den Abbau hemmt und die Acetylierung fördert, wodurch kognitive Beeinträchtigungen eher bei Frauen als bei Männern entstehen. Andererseits akkumuliert unabhängig vom Geschlecht USP11 in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten. Hierbei ist das Enzym häufig mit Tangles und Neuropil-Fibrillen kolokalisiert.
Die positive Assoziation von USP11 mit der Tau-Pathologie ist jedoch bei Frauen deutlich ausgeprägter als bei Männern, was zu erhöhten Werten bei Frauen schon in einem präklinischen Stadium der Alzheimer-Krankheit passt. Interessanterweise erhöht Östrogen insgesamt die Menge von USP11 im Gehirn. Männliche Tiere kompensieren reduzierte Spiegel dieses Enzyms offenbar eher durch Hochregulation verwandter USPs. Möglicherweise steht mit USP11 daher ein neues pharmakologisches Ziel für eine Behandlung der Alzheimer-Demenz insbesondere bei Frauen zur Verfügung.
Referenz:
Yan Y, Wang X, Chaput D, Shin M-K, Koh Y, Gan L, Pieper AA, Woo J-AA, Kang DE (2022) X-linked ubiquitin-specific peptidase 11 increases tauopathy vulnerability in women. Cell 185:3913
Bildnachweis: iStock/Cecilie-Arcurs
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