Verletzte Axone im zentralen Nervensystem (ZNS) erwachsener Säugetiere können in der Regel nicht über lange Distanzen regenerieren, was die funktionelle Erholung nach einer Querschnittsläsion einschränkt. Potenzielle Mechanismen, die diesem regenerativen Versagen zugrunde liegen, umfassen die reduzierte intrinsische Fähigkeit, die für das Axonwachstum nach einer Verletzung erforderlichen Gene und Signalwege zu aktivieren. Außerdem spielen extrinsische, wachstumshemmende Faktoren eine Rolle, die mit extrazellulären Matrixmolekülen, Myelintrümmern oder fibrotischem Gewebe assoziiert sind. Schließlich gehen wir heute davon aus, dass geeignete Wachstumsfaktoren nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Strategien zur Neutralisierung oder Abschwächung wesentlicher extrinsischer Hemmstoffe des Axonwachstums haben nur begrenzte Auswirkungen auf die Regeneration, ihre Wirksamkeit wird jedoch erheblich gesteigert, wenn sie mit der Aktivierung des intrinsischen Wachstumszustands von Neuronen kombiniert werden.
Beispielsweise führt die Hemmung von PTEN, einem intrinsischen Suppressor des Axonwachstums, zu einer signifikanten Axonregeneration. In Kombination mit Faktoren wie CNTF und SOCS3-Deletion oder mit dem intrazellulären Botenstoff cAMP wird einigen Nervenzellen, z.B. retinalen Ganglienzellen, dadurch ermöglicht, Axone über die gesamte Länge der verletzten Bahn neu zu bilden. Im Gegensatz zu ZNS-Neuronen zeigen periphere sensorische und motorische Neurone nach einer peripheren Axonverletzung spontan starkes Wachstum, begleitet von der Aktivierung regenerationsassoziierter Gene (RAGs). Diese RAGs wirken als koordiniertes Netzwerk, wobei ihre Expression durch eine zentrale Gruppe von Transkriptionsfaktoren (TFs) während der peripheren Nervenregeneration reguliert wird. Manipulationen einzelner TFs, wie STAT3 und Sox11, führen zu unterschiedlich starkem Axonwachstum auch im ZNS.
Die Effekte der TFs auf ihre Zielwege sind kombinatorisch und bilden gestaffelte regulatorische Netzwerke, die eine präzise Steuerung von Timing, Dosierung und Kontext erfordern. Die Analyse von Transkriptions-Netzwerken aus Genexpressionsdatensätzen bietet eine effiziente Methode, Schlüsselregulatoren biologischer Prozesse zu identifizieren. Ein Modell von TF-Netzwerken, das ursprünglich vom ENCODE-Konsortium entwickelt wurde, beschreibt eine hierarchische, pyramidenartige Struktur. An der Spitze stehen wenige Master-Regulatoren, die die Expression der meisten anderen TFs steuern, welche wiederum die Zielgene regulieren. Mithilfe solcher Modelle und neu generierter Daten können die hierarchischen Wechselwirkungen von TFs analysiert werden, um potenzielle Schlüsselregulatoren der intrinsischen Axonregeneration zu identifizieren.
Eine in Nature Communications 2022 veröffentlichte Arbeit zeigt nun, dass der RE1-Silencing Transcription Factor (REST; Neuron-Restrictive Silencer Factor) als negativer Regulator die Aktivierung regenerationsassoziierter TFs wie Jun, STAT3, Sox11, SMAD1 und ATF3 hemmt. Bei erwachsenen Mäusen mit zellspezifischer Deletion von REST oder Expression einer dominant-negativen REST-Mutante zeigte sich eine verbesserte Regeneration des Kortikospinaltrakts (Pyramidenbahn) nach Rückenmarksverletzungen oder des Sehnervs nach seiner Quetschung. Dabei geht die erfolgreiche axonale Regeneration mit einer Hochregulation regenerationsassoziierter Gene in kortikalen Motoneuronen und retinalen Ganglienzellen einher.
Die vorliegenden Ergebnisse verdeutlichen die zentrale Rolle von REST als übergeordneten Suppressor des intrinsischen Regenerationsprogramms im ZNS und zeigen den Nutzen eines systembiologischen Ansatzes mit integrativer Genomik und Bioinformatik für die Regenerationsforschung auf.
Referenz:
Cheng Y, Yin Y, Zhang A, Bernstein AM, …, Goldberg JL, He Z, Woolf CJ, Sofroniew MV, Benowitz LI, Geschwind DH (2022) Transcription factor network analysis identifies REST/NRSF as an intrinsic regulator of CNS regeneration in mice. Nature Communications 13:4418
Bildnachweis: iStock/Mongkolchon Akesin
Comments