Verletzungen des peripheren Nervensystems (PNS) lösen adaptive (pro-regenerative) oder maladaptive (fehlende Regeneration, Schmerzen) Reaktionen aus, die durch die Expressionsniveaus bestimmter Gene, d.h. durch ein intrinsisches Wachstumsprogramm, bestimmt werden, die letztlich auf das Zytoskelett axotomierter Neurone einwirken. Erfolgreiche Nervenregeneration erfordert ein genaues Gleichgewicht zwischen stabilen und dynamischen Mikrotubuli, ähnlich wie bei der neuronalen Entwicklung. Die Funktionswiederherstellung bleibt jedoch, selbst nach chirurgischer Reparatur, aufgrund der langsamen Regeneration und unzureichenden Reinnervation der Zielmuskulatur weitgehend aus.
DNA-Methylierung ist die am häufigsten untersuchte epigenetische Modifikation der Genexpression. Frühere Studien haben gezeigt, dass globale Methylierungs- und Demethylierungsprozesse als grundlegende Mechanismen die Axonregeneration fördern. Epigenetische Regulatoren wie TET-Enzyme (ten-eleven translocation methylcytosine dioxygenases) und UHRF1 (ubiquitin-like containing PHD ring finger 1) spielen daher eine wichtige Rolle bei der peripheren Nervenregeneration. TET3 wird beispielsweise in Spinalganglien nach Verletzungen des Ischiasnerven hochreguliert und fördert die Expression regenerationsassoziierter Gene (sog. RAGs). Daneben verbessert UHRF1 die Regenerationsfähigkeit von sensiblen Neuronen durch Promotor-Methylierung (Gen-Silencing) von PTEN und REST, die in einem früheren Blog-Beitrag schon vorgestellt wurden.
Neben der DNA-Methylierung sind Histonmodifikationen als klassische epigenetische Mechanismen axonaler Regeneration von großer Bedeutung. Histon-Deacetylasen (HDACs) katalysieren nicht nur die Deacetylierung von Histonen im Zellkern, sondern auch von Proteinen wie α-Tubulin im Zytoplasma. Solche posttranslationalen Modifikationen, wie die Acetylierung von Tubulin, sind entscheidend an der Axonregeneration beteiligt, da die Inhibition der Mikrotubulidynamik das Axonwachstum reduziert (stabile und dynamische Mikrotubuli unterscheiden sich durch das Ausmaß der Tubulin-Acetylierung). Nach peripheren Nervenschäden werden Mikrotubuli umgebaut, um die Bildung von Wachstumskegeln zu erleichtern und die Axonregeneration zu fördern.
Die vorteilhaften Wirkungen von niedrig dosierter ionisierender Strahlung (LDIR) auf diesen Prozess sind seit Jahrzehnten bekannt. LDIR kann adaptive Antworten induzieren, die die Wachstums- und Funktionskapazität verbessern. Beispielsweise fördert eine lokale, niedrig dosierte Röntgenbestrahlung die Nervenreparatur und Funktionswiederherstellung bei Ratten, obwohl die Mechanismen noch nicht vollständig geklärt sind. Studien legen nahe, dass LDIR über Veränderungen der DNA-Methylierung und Transkriptionsprofile zu diesen adaptiven Effekten beiträgt.
In einer Ende 2023 in Neuron erschienenen Studie konnte nun gezeigt werden, dass zwei ionisierende Strahlenquellen, Alpha-Partikel und Röntgenstrahlen, das Axonwachstum von kultivierten peripheren Nervenzellen fördern. Eine niedrig dosierte Ganzkörper-Röntgenbestrahlung verbesserte die intrinsische Wachstumskapazität verletzter Neurone und beschleunigte die Axonregeneration sowie die Funktionswiederherstellung nach Ischiasnervverletzungen.
Die Autoren konnten durch genomweite Analysen der CpG-Methylierung in diesen Tieren eine Hypermethylierung des Fmn2-Promotors als Hauptfaktor ermitteln, der mit den fördernden Effekten von LDIR assoziiert ist. Die Knockdown-Experimente von Fmn2 zeigten, dass dessen Inhibition die Mikrotubulidynamik in Wachstumskegeln erhöht und die Axonregeneration fördert. Darüber hinaus wurde mit Metaxalon ein FDA-zugelassenes Molekül identifiziert, das in vitro und in vivo die Axonregeneration unterstützt. Diese Ergebnisse bieten einen neuen Ansatz für eine potenziell sichere und effektive pharmakologische Therapie bei peripheren Nervenschäden.
Referenz:
Au NPB, Wu T, Chen X, Gao F, Li YTY, Tam WY, Yu KN, Geschwind DH, Coppola G, Wang X, Ma CHE (2023) Genome-wide study reveals novel roles for formin-2 in axon regeneration as a microtubule dynamics regulator and therapeutic target for nerve repair. Neuron 111:3970-3987.e3978.
Bildnachweis: iStock/Aldona
Comments