Eine Zelle hat verschiedene Mechanismen, um defekte Proteine und Organellen loszuwerden. Oft haben diese ihre Lebensdauer überschritten oder befinden sich nicht mehr in einem funktionsfähigen Zustand. Falsch gefaltete Eiweiße werden beispielsweise über die UPR (unfolded protein response) oder direkt über das UPS (Ubiquitin-Proteasom-System) abgebaut. Außerdem spielt die Autophagie, das 'sich-selbst-aufessen', eine Rolle bei Störungen der Protein-Homöostase und dem Abbau von nicht mehr benötigten Zellbestandteilen (s. auch Kap. 2.1.1 in meinem Buch über Neurodegeneration).
Bei der Autophagie werden Protein-Aggregate oder zelluläre Organellen von Membranen umschlossen und durch intrazellulären Abbau im Lysosom oder durch Ausschleusung (Exozytose) entfernt. In Nervenzellen sind die Anforderungen an die Autophagie aufgrund der oft langen zellulären Fortsätze und der damit sehr hohen Zahl an Proteinen besonders hoch. Autophagie kann durch Zellstress zusätzlich angeregt werden. Bei der Alzheimer-Krankheit reichern sich Autophagie-Vesikel, die unvollständig verdaute Substrate enthalten, bereits im frühesten Krankheitsstadium an.
In einer kürzlich in Nature Neuroscience veröffentlichten Studie haben Lee und Kollegen nun die molekularen und zellulären Grundlagen für eine fehlerhafte Autophagie in Alzheimer-Modellen untersucht, indem in Mäusen das Autophagie-Adapterprotein LC3 spezifisch und nur in Neuronen mit Fluoreszenzmarkern versehen wurde. Diese Tiere wurden dann mit Mäusen verpaart, die im Laufe ihres Lebens eine Alzheimer-ähnliche Pathologie entwickeln.
Wie wir wissen, geht der Morbus Alzheimer mit erheblicher synaptischer Dysfunktion und kognitivem Abbau einher. Die betroffenen Gehirnstrukturen sind histologisch durch neurofibrilläre Tangles (also Protein-Knäuel, NFTs genannt) und Amyloid-Plaques aus abgelagerten β-Amyloid-Peptiden (Aβ) gekennzeichnet. Letztere entstehen durch proteolytische Verarbeitung der extrazellulären Domäne des Amyloid-Vorläuferproteins, APP. Es ist heute allgemein anerkannt, dass die Plaques sich zeitlich vor den Tangles bilden, aber nicht spezifisch für die Krankheit sind, während NFTs auf ein fortgeschrittenes Stadium hinweisen.
Ein zentraler Befund der nun vorliegenden Studie ist, dass in allen fünf untersuchten Mausmodellen der Alzheimer-Krankheit frühe Defizite der lysosomalen ATPase-Aktivität zu beobachten sind. Dieses Enzym ist für die Ansäuerung der Autophagie-Vesikel notwendig, damit ihr Inhalt überhaupt abgebaut werden kann. Können die erst im sauren pH-Bereich aktiven Hydrolasen die Inhaltsstoffe aber nicht spalten, kommt es zu einer Anhäufung von APP und Aβ-Peptiden und das lange bevor extrazelluläre β-Amyloid-Ablagerungen beobachtet werden.
Schließlich wiesen die Autoren auch eine autophagische Stressreaktion in geschädigten Neuronen nach, die mit einer Zunahme von lysosomalen Vesikeln und großer, membranumschlossener Blasen einherging. Diese mit Aβ/APP und mit APP-Spaltprodukten angefüllten Strukturen erzeugen im Mikroskop blumenartige Profile, die von den Autoren als PANTHOS (als giftige Blume) bezeichnet werden. Sie sind auch deutlich in postmortalen menschlichen Gehirnproben von Alzheimer-Patienten nachweisbar und in der folgenden Abbildung schematisch widergegeben.
Diese Grafik zeigt, wie sich schlecht angesäuerte Autolysosomen (AL, violett) im Soma von Neuronen (links) ansammeln und die Zellmembran vorwölben, um auf diese Art blütenblattartige Strukturen, sog. PANTHOS, zu bilden. Lysosomen, die Protein-abbauenden Organellen einer Zelle, beginnen Enzyme auszuscheiden. Aβ-Fibrillen (als blaue Fäden dargestellt) sammeln sich in lysosomalen, tubulären Strukturen um den Zellkern herum an. Irgendwann rupturieren die Neurone und Aβ-Aggregate werden unter Beteiligung von Gliazellen extrazellulär abgelagert (pa-AL = schwach saure Autolysosomen; pa-LY = schwach saure Lysosomen; Ly = Lysosomen; AP = Autophagosom; β-CTF = Beta-Carboxy-Terminal-Fragment, das durch Spaltung des Amyloidvorläufers-Proteins, APP, durch β-Sekretase entsteht). Quelle: Korte und Köster, 2022, Signal Transduct Target Ther 7:344.
Auf Basis einer Vielzahl von bildgebenden und histochemischen Verfahren wurde darüber hinaus von der Arbeitsgruppe um Ralph Nixon von der New York University, USA, gezeigt, dass PANTHOS-Neurone der Ursprung seniler Plaques sein könnten, was die bisher vorgeschlagene zeitliche Abfolge zur Pathogenese der Ablagerungen auf den Kopf stellen würde. Die Voraussetzung einer Bildung von Plaques scheint demnach eine Störung im Ablauf der Autophagie zu sein. Die Plaques, von denen man annahm, dass sie von der Plasmamembran ausgehen und dann extrazellulär gebildet werden, entstehen nach der neuen Hypothese aufgrund eines intrazellulären Prozesses und gelangen durch neuronalen Zelltod in die unmittelbare Umgebung.
Auf der Grundlage der neuen Ergebnisse rücken auch die vielfach diskutierten inflammatorischen Prozesse der Alzheimer-Krankheit in ein neues Licht. Die Glia reagiert vermutlich erst, wenn sich bereits Amyloid-Plaques in PANTHOS-haltigen Neuronen gebildet haben und gereift sind. Mikroglia induziert dann vermutlich den Zelltod der betroffenen Neurone und bewirkt die Freisetzung von Plaques in den extrazellulären Raum hinein, was die Ausbreitung der Ablagerungen weiter fördern wird.
Eine wichtige Frage bleibt aber in dieser Arbeit unbeantwortet, nämlich, welcher Mechanismus die Verringerung der ATPase-Aktivität in den Lysosomen vermittelt und warum es trotzdem noch Autophagosomen gibt, die einen normalen pH aufweisen. Auch müsste noch erklärt werden, warum cholinerge Neurone des Vorderhirns offenbar zuerst von den Veränderungen betroffen sind, obwohl die Autophagie ja in allen Nervenzellen präsent ist. Sind die Veränderungen vielleicht reversibel, könnte also die Wiederherstellung saurer Bedingungen die PANTHOS-Bildung in Alzheimer-Gewebe verhindern ? Spannende Ergebnisse haben oft noch spannendere Fragen zur Folge!
Referenzen:
Korte M, Köster RW (2022) Opening the box of PANTHORA in Alzheimer’s disease. Signal Transduct Target Ther 7:344
Lee JH, Yang DS, Goulbourne CN, …, Staufenbiel M, Nixon RA. 2022. Faulty autolysosome acidification in Alzheimer’s disease mouse models induces autophagic build-up of Aβ in neurons, yielding senile plaques. Nat Neurosci 25:688
Bildnachweis: iStock/Ibrahim Akcengiz
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